healthy self-obsessions
- catharinacommichau
- 3. Mai
- 4 Min. Lesezeit
Wie die meisten Abende sitze ich auch heute auf unserem kleinen, schäbigen WG-Balkon. Mit dem Rücken an die Hauswand gelehnt und den Füßen auf der Bank, die Beine in eine der Decken gewickelt.
Die Sonne scheint mit letztem Licht schräg zwischen den Häusern hindurch. Endlich ist es nicht mehr so kalt wie noch letzte Woche. Ich sitze hier, rauche und atme den bevorstehenden Frühling ein. Unter den hoffnungstragenden Geruch mischt sich auch der Duft von Knoblauch und Zwiebeln, der wie immer um diese Uhrzeit vom Restaurant an der Ecke vorbeiwandert.
Toulouse, die auf meinem Schoß lag, springt auf, als drinnen die Haustür aufgeschlossen wird. Kurz darauf steht A. in der Wohnung. Schon beim Hereinkommen ruft sie irgendetwas. Ich drehe mich gerade noch rechtzeitig um, da hält sie mir auch schon ihr Gesicht ins Gesicht.
„Guck mal meine Wimpern!“, ruft sie euphorisch.
Sie war heute beim Lash and Brow Lifting. Was auch immer das genau heißt. Sichtlich zufrieden lässt sie sich auf ihren Platz gegenüber fallen und präsentiert noch einmal stolz, jetzt mit etwas Abstand. Ihre Wimpern sind sichtlich voller, dunkler und geschwungener.
„Ich LIEBE es. CIAO – meine Wimpern sind einfach nen Kilometer lang.“
Ich ziehe an meiner Zigarette, nicke langsam.
„Wie viel hast gezahlt?“
„75 €. Voll gut.
Ich will auch sowas!“, sagt sie dann mit einem Deut auf meine Zigarette. Lächelnd beobachte ich, wie sie sich fröhlich eine dreht.
75 €? Für das bisschen Haare im Gesicht? Ich sage erst mal nichts.
Ja, es sieht sehr gut aus. Ich frage mich, was mich eigentlich stört. Warum es wichtig ist, wie viel das gekostet hat.
A. plaudert munter weiter: wie zufrieden sie damit ist, wie schön sie sich findet, dass sie sich stärker fühlt. Selbstbewusster.
Ich frage, ob das nicht eigentlich total schade ist, wenn man sich durch gutes Aussehen erst stark fühlen kann. Sie guckt mich an, es wirkt fast so, als hätte sie damit gerechnet, dass ich das sagen würde.
„Nö. Ich mach das ja nur für mich. Ich fühl mich ja nicht besser, weil andere mich schön finden, sondern weil ich mich schön finde. Wär ja nur scheiße, wenn ich das für andere machen würde.“
Nachdenklich wiege ich meinen Kopf hin und her. Dann sage ich, dass sie damit eben doch bestimmte Schönheitsideale reproduziert. „Diese ganze Beauty-Szene“, setze ich an, „lebt doch davon, dass Frauen sich unsicher fühlen. Es ist ein System, das das dich dafür bezahlen lässt, dich akzeptabel zu machen. Damit du dich besser fühlst, weil du dem Ideal näher bist.“
A. atmet aus und lehnt sich zurück gegen das Geländer des Balkons.
„Ich find es aber geil, mich schön zu fühlen. Das tut mir gut.“
„Aber es ist doch bitter, dass wir überhaupt das Gefühl haben, uns optimieren zu müssen. Nur damit wir uns dann wohlfühlen können.“
„Du tust so, als würden sich äußeres und inneres Wohlbefinden ausschließen. Als wäre mein Äußeres mir wichtiger als mein Inneres, wenn ich mich jeweils um das andere kümmere.“
Ich überlege kurz, dann nicke ich: „Weil der Fokus nur auf einem liegen kann. Du solltest Kraft daraus ziehen, was du kannst und nicht, wie du aussiehst. Dass du schlau bist, macht dich stark. Insbesondere als Frau.“
Aber sie könne ja wohl auch eine kompetente und gutaussehende Frau sein, entgegnet A.
„Ich muss doch nicht scheiße aussehen, um gebildet und emanzipiert zu sein.“
Und überhaupt: Wieso, fragt sie, klingt das bei mir so, als dürfe man sich als selbstständige Frau nur dann Feministin oder so nennen, wenn man keinerlei Wert auf Äußerlichkeiten legt? Wenn man sich nie um sein Äußeres sorgt? Warum? Aus Prinzip? Damit man dann nur schlau und gebildet ist?
„Ich hab nicht gesagt, dass man scheiße aussehen sollte, sondern dass man da halt nicht so einen dollen Fokus drauflegt. Du sahst vorher schon gut aus, gepflegt und alles. Die Tatsache, dass du dich jetzt so schön findest, das ist ja auch nur das Ergebnis von den ganzen Trends, die uns umgeben.“
„Ja, wir machen das auch nicht ständig, und ich find mich auch sonst nicht hässlich. Ich find mich jetzt nur noch besser. Außerdem kann man nie wissen, ob man irgendetwas jemals nur für sich oder aufgrund von sozialen Trends gut findet. Ich hab das Gefühl, ich finde das jetzt gerade schön. Ob ich das jetzt wegen sozialer Konstrukte glaube oder nicht – das hilft mir am Ende auch nicht weiter.“
Ich greife noch einmal nach: „Aber wie lang hat das jetzt gedauert? Zwei, drei Stunden? Die Zeit hätte man doch auch sinnvoller nutzen können.“
Sie lacht. „Und du? Was hast du heute Vormittag gemacht?“
Ich zögere. Aber dann schleicht sich das Grinsen doch in mein Gesicht. „Ich lag im Bett“, gebe ich zu, „hab auf Insta die Zeit totgeschlagen.“
Wir schweigen. Ein Güterzug rattert hinter der Schallschutzwand gegenüber vorbei.
„Ja guck. Du hast den ganzen Vormittag nichts gemacht. Du hast dich ja jetzt auch nicht intellektuell weitergebildet. Hättest deinen Morgen auch mit Judith Butler verbringen können“, lässt A. höhnisch verlauten.
Ich sage nichts. Sie hat nicht unrecht. Aber ist es das?
„Du sagst, echtes Selbstbewusstsein braucht keine visuelle Bestätigung. Vielleicht mach ich das alles nur für mich. Vielleicht finde ich das, was ich schön finde, auch nur deswegen schön, weil es im Trend ist. Aber ist doch egal, oder nicht? Wenn ich mich dadurch gut fühle?
Im Endeffekt sorgen wir dafür, dass wir uns gut fühlen, indem wir uns mit uns selbst beschäftigen. Außerdem investier ich mein selbst verdientes, selbst erarbeitetes Eigengeld in nichts lieber als in mich. Auch Selbstbestimmung und so.“
Wir müssen beide lachen. Ja, vielleicht. Vielleicht ist es nicht nur okay, sich gut zu finden, sondern sogar total wichtig, manchmal aktiv dafür zu sorgen, dass man sich selbst geil findet. Vielleicht ist das genau das, was wir sollten: uns nicht immer zerdenken, einfach machen, worauf wir Bock haben und sich dabei selbst schön finden.
A. lächelt.
„Ich find uns geil“, sagt sie, „und das ist jawohl total feministisch.“
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